Wenn es nach Kanzlerin Merkel geht, wird „Ertüchtigung“ zur neuen Grand Strategy für Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik. Die Idee: Staaten in unruhigen Weltecken zu regionalen Sheriffs aufbauen, mit Ausbildung und Ausrüstung aus Deutschland. In einer Grundsatzrede 2011 kündigte die Kanzlerin ihren Plan als cleveren Strategieschwenk an – Die so genannte Ertüchtigungsstrategie spart teure Kampfeinsätze und sichert der BRD trotzdem Einfluss in der Weltpolitik. Wer heute auf Merkels Lieblingsprojekt sieht, findet keine Strategie, dafür drei Entwicklungen, die zu Denken geben:
Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, hält diesen Ansatz für zweifelhaft: „Die Ertüchtigung, die sogenannte – ich halte sie für eine Nicht-Strategie. Eine Strategie ist, wenn ich meine Ziele und Interessen formuliere, sie priorisiere und dann anfange zu überlegen, wie man sie umsetzen kann. Ich sage nicht, dass Ausbildung und Ausrüstung grundsätzlich falsch sind. Aber das ist von Fall zu Fall zu prüfen. Das zu einer Strategie zu erheben, ist schlicht ein sich Wegdrücken vor der Verantwortung.“
Kritiker sehen in der sogenannten Ertüchtigungsinitiative einen durchsichtigen Versuch, Rüstungsexporte zu erleichtern. Ein Jahr nach Merkels Grundsatzrede versuchte die Bundesregierung 2012, in der NATO einige Schwellenländer als strategische Partner des Bündnisses durchzusetzen. So aufgewertet wären dann beispielsweise die Golfstaaten in eine Liga mit langjährigen NATO-Partnern wie Süd-Korea aufgestiegen. Eine Belieferung mit deutschen Rüstungsgütern wäre einfacher gewesen. Der Plan scheiterte. Die NATO-Länder hatten kein Interesse, Deutschlands Rüstungsindustrie den Eintritt in Märkte zu erleichtern, die sie auch selbst bedienen. Von dem angekündigten strategischen Ansatz bei der Ertüchtigung konnte keine Rede sein. Offensichtlich nutze die Merkel-Regierung das Label Ertüchtigung vor allem, um der deutschen Rüstungsindustrie Hilfestellungen zu bieten. Das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ prägte dafür den spöttischen Ausdruck „Merkel-Doktrin“. Dabei ergibt die Ertüchtigung ausländischer Streitkräfte nur Sinn, wenn sie Teil eines umfassenden Ansatzes zur Krisenprävention ist, sagt Claudia Major, Expertin für Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin: „Es ist ein Element in einem übergeordneten Plan oder nennen wir es Strategie, um ein Land oder eine Region zu stabilisieren. Da gehören viele andere mit rein. Da gehört zum Beispiel auch wirtschaftliche Entwicklung mit hinein. Da gehört auch ein funktionierender Justizapparat hinein. Das heißt, das sind verschiedene Elemente, die dazugehören.“
Ertüchtigungsstrategie: Offenbarungseid in Mali
Seit Anfang 2013 versucht die Bundesregierung, der Ertüchtigungsstrategie in Afrika neuen Schwung zu geben. Mit bis zu 350 Soldaten beteiligt sich die Bundeswehr an der EU-Ausbildungsmission für die Streitkräfte Malis. Der zerrüttete Staat gilt als strategischer Dreh- und Angelpunkt der unruhigen Sahelzone, die zum Hort für islamistische Terrororganisationen geworden ist. Hier steht Ausbildung statt Aufrüstung im Vordergrund. Waffen liefert die Bundesrepublik nicht. Doch die „Kidal-Pleite“ der malischen Armee zeigt die Probleme der Ertüchtigung vor Ort. Im Sommer vergangenen Jahres wollte Malis Regierung die Stadt Kidal von Tuareg-Rebellen zurückerobern. Dafür schickte sie vor allem von der EU trainierte Verbände in den Kampf. Doch die erlitten eine Niederlage. Der Journalist und Militärexperte Marco Seliger zu den Folgen: „Im Fall von Kidal war es so, dass die malische Regierung befohlen hat, Streitkräfte in einen Ort- und Häuserkampf zu schicken, gegen einen militärisch sehr gut organisierten Gegner, für den sie überhaupt nicht ausgebildet und überhaupt nicht ausgerüstet waren. Das war also das Verheizen von mehreren tausend Soldaten.“
Die „Kidal-Pleite“ zeigt die Grenzen des Ertüchtigungs-Konzepts: Der Partner-Staat ist kein verlängerter Arm der EU-Länder, sondern verfolgt eigene Interessen. Im Fall von Kidal wollte Malis neu gewählter Regierungschef ein Zeichen der Stärke setzen. Kidal ist ein wichtiges Zentrum im Nordosten des zerrütteten Staates. Aus malischer Sicht war der Angriff vielleicht verständlich. Er war aber kontraproduktiv für das Ziel der EU, leistungsfähige malische Streitkräfte aufzubauen. Die Sicherheitsexpertin Claudia Major sieht ein weiteres Problem: „Was ist zum Beispiel wenn, wie in Mali, ein Staat, den die EU, die VN oder Deutschland unterstützt haben, wenn es auf einmal doch einen Putsch gibt und die ganzen Ergebnisse jahrelanger Arbeit auf einmal zu verschwinden drohen? Was macht man dann? Interveniert man dann doch militärisch oder sagt man, das Mittel war uns nicht Recht, ja dann war’s halt leider umsonst. Das heißt, die Frage des Militärischen ist doch immer mit präsent.“
Über jeder Ertüchtigungsmission hängt also wie ein Damoklesschwert doch wieder der Kampfeinsatz. Und wer andere zum Kämpfen ertüchtigen möchte, kann dies nicht mit ein bisschen Grundausbildung für Soldaten tun – auch das zeigt Kidal. Offensichtlich waren die malischen Soldaten durch die EU-Ausbildung nicht auf den Kampf gegen die Tuareg vorbereitet. Auf Nachfrage von NDR Info teilt die Bundeswehr mit – Zitat: „Die Ausbildung umfasste zunächst fast ausschließlich handwerkliche Fähigkeiten und Fertigkeiten der Soldaten, jedoch keine Ausbildung von Führungspersonal.“Ein Eingeständnis, dass Ertüchtigung nur über die Grundausbildung für Soldaten sinnlos ist. Der Militärexperte Marco Seliger: „Man muss ja überlegen, es gibt ein Offizierskorps, es gibt ein Unteroffizierkorps, es gibt Mannschaften, es gibt Mannschaften mit fachlichen Qualifikationen. All das, wir kennen das aus der Bundeswehr, braucht Jahre, bis ein Soldat ausgebildet ist. Man lügt sich in die Tasche, wenn man davon spricht, dass man da in zwei, drei oder vier Jahren fertig ist.“
Nach der Kidal-Pleite schult die EU nun malische Kompaniechefs und setzt auf Wiederholungslehrgänge, gestaltet die Ausbildung inzwischen komplexer. Deutschland soll im August die Führung der europäischen Trainingsmission übernehmen. Die zeitliche Perspektive ist aber überschaubar: Das jetzige EU-Mandat gilt bis Ende Mai 2016. Mit der unsicheren zeitlichen Perspektive geht auch der Unwille der Bundesregierung einher, langfristig für die Ausbildung dringend benötigte Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Der Militärexperte Marco Seliger nennt ein Beispiel: „Wir sind auf Gedeih und Verderb auf Sprachmittler angewiesen. Und dann kommt man irgendwann an den Punkt, Ressourcen vorzuhalten, indem man sagt, wir bräuchten so und so viele Sprachmittler – Soldaten oder eben auch Personal aus dem Bundessprachenamt, das dann in großer Zahl in solche Gebiete geschickt werden kann. Das halte ich, wenn ich mir die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik anschaue, doch für eher ausgeschlossen. Denn so weit wird nicht voraus gedacht.“
Substanzielles Ertüchtigen ist teuer
Außerdem ist der Aufbau von effektiven Sicherheitskräften nicht für wenig Geld zu haben. Von der ständigen Gefahr, dass gelieferte Waffen unkontrolliert verschwinden, abgesehen: Die Ausrüstung mit Kleingerät reicht kaum, um Staaten zu regionalen Ordnungsmächten zu befähigen. Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Und wenn man an den substanziellen Charakter denkt, dann würde das auch bedeuten, dass man Dinge wie Aufklärung und Transport zur Verfügung stellt, die teuer sind, aber einen deutlich stärkeren Effekt bei der Ertüchtigung hätten.“
Blickt man auf die Ankündigung in Merkels Rede von 2011, Ertüchtigung zu einem strategischen Werkzeug für Deutschlands Sicherheitspolitik zu entwickeln, klaffen Anspruch und Wirklichkeit weiterhin deutlich auseinander. Unter dem Label Ertüchtigung finden sich Maßnahmen zur Erleichterung von Rüstungsexporten, dünne Ansätze der Krisenprävention wie in Mali und purer Aktionismus. Hierunter fallen auch die beschlossenen Maßnahmen, um im Nordirak die kurdischen Peschmerga im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat zu unterstützen. Eine Entscheidung, die offenkundig davon getrieben war, Forderungen nach einem Kampfeinsatz der Bundeswehr zuvor zu kommen. Um Ertüchtigung als Strategie wirksam zu machen, bräuchte es zwei Vorgehensweisen. Erstens: Eine klare Benennung von Regionen mit besonderen deutschen Sicherheitsinteressen und zweitens, die Bereitschaft, für diese Regionen Ressourcen an Ausbildern und Material aufzubauen und bereitzuhalten. Doch daran mangelt es der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
Dieser Beitrag des Autors erschien ursprünglich als Podcast auf „streitkräfte & strategien“ / NDR-Info.