Afghanistan – Operation „Leviathan“ versackt

Keinen Verteidigungsminister seit fast einem Jahr trotz des Krieges gegen die Taliban; das ist die Situation in Afghanistan in Sachen Aufbau moderner Streitkräfte. Seit ihrem Amtsantritt im September 2014 gelingt es der Ghani/Abdullah-Regierung nicht, den Kabinettsposten Verteidigung zu besetzen. Vor Kurzem ließ das Parlament in Kabul den inzwischen dritten Regierungskandidaten für das Amt durchfallen – Genaueres hierzu berichtet die New York Times. Dabei rollt die jährliche „Frühjahrsoffensive“ der Taliban durch das Land und fügt den Sicherheitskräften schwere Verluste zu; der Aufbau eines leistungsfähigen Wehrressort für die Nationalarmee Afghanistans ist dringend nötig.

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Warten auf den Chef – Seit Sommer 2014 fehlt Afghanistans Soldaten ein oberster Dienstherr – Foto: Staff Sgt. Markus Maier (U.S. Armed Forces)

Hier zeigt sich ein, in den deutschen Medien selten aufgegriffenes, Hauptproblem der westlichen „Ertüchtigungsstrategie“: Nicht mangelnde wehrtechnische Unterstützung und Ausbildung torpedieren zuvorderst Unterstützungsmissionen wie „Resolute Support“ der NATO für Afghanistan, sondern die defizitären politischen Strukturen, in welche die Unterstützung eingebracht wird. So ist die afghanische Zentralregierung ein sich selbst lähmendes Proporzsystem; dessen Charakter schon der Akt zeigt, mit dem die Ghani-Regierung in Amt und Würden kam. Am Ende war es keine Wahlentscheidung der Afghanen, sondern ein Kompromiss Ghanis mit seinem Hauptkonkurrenten Abdullah, der seitdem als Chief Operating Officer des Landes am Hindukusch firmiert.

Der Versuch der Staaten des Westens, am Hindukusch einen Leviathan ihresgleichen aufzupeppeln wird nicht an einer schwachen Logistik oder zu wenig Panzern für die Armee scheitern, sondern am Fehlen einer leistungsfähigen Wehrbürokratie, die in der Lage ist, Streitkräfte nach westlichem Muster zu führen – zentral organisiert, mit einheitlicher Struktur und klaren Hierarchien.

Die Realität ist: Schleichend gewinnt die feudale Kriegsordnung ihre Dominanz am Hindukusch zurück – flüchtige Warlordallianzen und Kriegsführung über Stellvertreter. Inzwischen gibt es Anzeichen, dass die Kabuler Regierung den Krieg gegen die Taliban wieder auf die alte Weise führt, mittels Allianzen zu lokalen Kriegsfürsten. Auch die westlichen Hilfstruppen setzen teilweise auf lokale Milizen.

Das heißt aber, die vom Westen gestützte Regierung, verabschiedet sich von dem Anspruch, vom Failing State zum „echten Leviathan“ zu werden, der perspektivisch im gesamten Staatsgebiet uneingeschränkte Macht ausübt. Die feudale Kriegsführung erlaubt dauerhaft nur eine mittelbare Kontrolle, der an das eigene Kernterritorium (Kabul und Umland) angrenzenden Regionen (u. a. Kunduz) über Stellvertreter (Warlords, Milizen etc.) Ein Kriegskonzept, dass beispielsweise auch der Sudan über die Dschandschawid-Reitermilizen in Darfur durchführte. Je nach Bindung der regionalen Stellvertreter durch Subsidien, gibt es einen gewissen Einflussgrad für die Zentralregierung, mehr aber auch nicht. Genau diese Entwicklung ist in Afghanistan zunehmend absehbar.