Irgendwo im Baltikum 2026 – Im Tiefflug jagen Tiger-Kampfhubschrauber der Bundeswehr über die Landschaft und attackieren russische Panzerverbände, um deren Vorstoß zu verzögern. Wenige Kilometer hinter dem Kampfgeschehen surren Drohnen der Bundeswehr-Pioniere über eine Ebene und platzieren Anti-Panzerminen.
Diese Szenen stammen aus keinem Roman, sondern aus dem Bundeswehr-Thesenpapier „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?“. Es umreißt aus militärfachlicher Sicht, wie das deutsche Heer ausgerüstet sein müsste und kämpfen sollte, um ab 2026 in Landkriegen gegen einen „gleichwertigen Gegner“ zu siegen. Auch wenn Russland nicht namentlich als Kontrahent genannt wird, sind dessen militärischen Fähigkeiten („der Gegner verfügt über ein engmaschiges Netz weitreichender Luftverteidigungssysteme mit der Reichweite 400 Kilomter plus“) offensichtlicher Bezugspunkt der Bewaffnungs- und Operationskonzepte in „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?“.
Verfasst wurde die Analyse von einem nicht näher benannten Autorenteam aus dem Heereskommando unter Leitung von Generalleutnant Frank Leidenberger. Jenem untersteht als Kommandeur der militärischen Grundorganisation auch das Amt für Heeresentwicklung, das für die militärische Innovation bei Deutschlands Landstreitkräften zuständig ist.
Adressat Bundestag
Adressat der Fähigkeitsanalyse ist der parlamentarische Raum, wie es aus der Bundeswehr heißt. Den Bundestagsabgeordneten soll nahegebracht werden, wie eine zur Landes- und Bündnisverteidigung fähige Bundeswehr aufzustellen sei. Um die Bewaffnungskonzepte des Thesenpapiers anschaulicher zu machen, wurden sie mit beispielhaften Operationsszenarien ergänzt. Deren Rahmen bildet ein fiktiver Angriff Russlands auf das Baltikum, der vom Deutschen Heer im NATO-Verbund zurückgeworfen wird. Dabei versucht Russland zunächst, über eine hybride Vorbereitung (U. a. Desinformationskampagnen sowie verdeckte Angriffe von Spezialkräften), für sich eine günstige Architektur des Schlachtfelds zu schaffen, und greift dann mit seinen Hauptstreitkräften an.
Die größte Bedrohung für Landstreitkräfte
In einem solchen Krieg zwischen modernen Militärmächten lauten die Hauptfaktoren für einen Erfolg Masse und Übersättigung, so die These der Militär-Planer des Deutschen Heeres. Die Könige künftiger Schlachtfeder werden in Schwärmen eingesetzte Mini-UAVs. Sie gelten den Verfassern der Studie als das Nonplusultra, um selbst High-Tech-Sensoren aller Art zu „übersättigen“. Das heißt beispielsweise, dem Zielerfassungssystem moderner Panzer so viele Optionen zu bieten, dass es kollabiert. Auch beim Beschießen des Feindes gilt: Wichtiger als aufwendige Präzisionsmunition, wird das indirekte Massenfeuer von Artillerie und Raketen. Jenes sei „die massivste Bedrohung für Landstreitkräfte“. Mittels Drohnen und Positionsdaten aus dem Internet, lässt es sich inzwischen sehr genau platzieren, was vorher so nicht möglich war. Dafür nennt die Studie das Beispiel des Krieges um die Ost-Ukraine. Die effektivste Waffe der dortigen Separatisten waren vor allem zu Kriegsbeginn mobile Artillerie und Raketenwerfer, die sie auf Lastwägen hinter der Front zusammenzogen. Spähdrohnen über den ukrainischen Linien lenken das massive Feuer dieser Geschütz-Pulks auf die ukrainischen Einheiten. Versuchen die Regierungstruppen auszuweichen, ermöglicht die Echtzeit-Feuerleitung per Drohne ein rasches Nachjustieren des Beschusses – mit vernichtender Wirkung. So zu kämpfen, ist der Bundeswehr nur beschränkt möglich. Ihre Fähigkeiten Flächenziele zu bekämpfen, wie es im Militärsprech heißt, hat sie seitdem Ende des Kalten Kriegs abgebaut und verzichtet beispielsweise auf den Einsatz der berüchtigten Streumunition. „Durch diese Selbstbeschränkung hat sich ein gegnerischer Fähigkeitsvorsprung ergeben“, so die Analyse der deutschen Militärs.
Bedeutungsverlust der Duell-Panzer
Aus deren Sicht muss die Bundeswehr künftig mehr indirektes Feuer auf ein Schlachtfeld bringen können, beispielsweise mit Marschflugkörpern von Marine-Kriegsschiffen. Umso dringlicher wird dieses Vorgehen durch die Marginalisierung der Luftwaffe. Lange waren deren Attacken aus der Luft essenziell, um Feind-Angriffe zu schwächen und Gegenstöße zu erleichtern. Doch moderne Luftverteidigungssysteme wie das Russische schätzt das Deutsche Heer als extrem leistungsfähig ein. Der Kampf um die Lufthoheit, bisher stets Auftakt von Militäroperationen gegen andere Staaten, fällt in Zukunft aus. Erst muss die Luftverteidigung des Gegners mit großem Aufwand niedergekämpft werden, um der Luftwaffe Freiräume zu schaffen.
Auch das Konzept der deutschen Panzerwaffe – ausgelegt auf Überlegenheit im direkten Feuerduell – ist nicht State of the Art moderner Kriegsführung. Für Panzereinheiten gilt es künftig „Duellsituationen zu vermeiden“ und stattdessen getarnt und in stark aufgelockerten Formationen zu kämpfen, um die Verluste durch Flächenfeuer zu minimieren. Gegen Drohnen-Schwärme sollen GTK-Boxer helfen, die mit Lasermodulen oder solchen für elektromagnetische Störimpulsen ausgerüstet sind. Die erste dringende Maßnahme, um die Überlebensfähigkeit der Panzerwaffe zu erhöhen, wäre für die Studien-Verfasser das Einrüsten von Reaktivpanzerungen und Abstandaktiven Schutzsystemen gegen moderne Anti-Panzer-Lenkraketen. Als Beispiel wird das israelische Produkt Iron Fist genannt. Denn gepanzerte Fahrzeuge sind gegen mobile Raketen wie die russische Kornet massiv verwundbar, weshalb das Heer solche Waffen gerne selbst hätte; am Besten mit sogenannter Top-Attack-Fähigkeit. Entsprechende Lenkflugkörper können gegnerische Panzer von Oben angreifen; dort wo sie am schwächsten gepanzert sind. Solche verbesserte Waffen plus präziser Drohnen-Aufklärung und den schnellen „Bekämpfungszyklen“ digitaler Feuerleitung werden das kommende Schlachtfeld „tödlicher“ machen, so die die Einschätzung der Militär-Planer des Heeres.
Drohnen-Legionen für die Bundeswehr
Deren Hauptsorge ist deswegen die „fehlende Masse“ an Bundeswehr-Soldaten. In den erwarteten Kampfszenarien können innerhalb von Minuten ganze Bataillone – das heißt Hunderte von Mann – ausradiert werden. Um solch schwere Verluste zu ersetzen, fehlt der Bundeswehr ein ernst zu nehmendes Reservesystem und damit glaubwürdige Kampfkraft, wenn es gegen einen Gegner wie Russland ins Feld ginge. An dem Soldatenmangel wird sich auch in Zukunft nichts ändern, so die Einschätzung der Autoren von „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?“. Ihre Folgerung: Um dennoch erfolgreich operieren zu können, muss die Bundeswehr zügig zur Maschinenstreitmacht werden. Ob „Täusch-Drohnen“ die Transporthubschrauber begleiten, um den Abschuss kostbarer Truppen zu verhindern oder kompakte Kampf-Roboter, die mit Luftlandeeinheiten abgesetzt werden – folgt man der Logik des Thesenpapiers, bräuchte die Bundeswehr bereits ab 2026 Tausende an unbemannten Systemen, kurz UMS – „UMS bieten den Vorteil, dass sie im Vergleich zu herkömmlichen bemannten Waffensystemen schneller und günstiger hergestellt werden können, sodass mehr Masse und damit Durchhaltefähigkeit generiert werden kann“. Umfassende Truppen semi-autonomer und autonomer UMS sollen die Bundeswehr wieder in die Lage versetzen, größere Gefechtsoperationen zu bestreiten.
Die Rückkehr des Minenkrieges
In dem fiktiven Kriegsszenario des Thesenpapiers zerschlägt die Bundeswehr den russischen Hauptangriff vor allem mit einer intensiven Minenkriegsführung, ermöglicht durch den Einsatz zahlreicher Minenlege-UMS. Jene helfen dabei, rasch Minenfelder in die Stoßrichtung feindlicher Angriffe zu legen. Die Maschinen öffnen auch Gassen für Angriffe und Rückzüge hinter die Minen-Sperranlagen. Deren Stoppwirkung für die mechanisierten Feindkräfte erleichtert es den Bundeswehr-Panzern, ihre Duellstärke auszuspielen und die gegnerischen Einheiten abzuschießen. Eine weitere Einsatzmöglichkeit für UMS nennt die Analyse beim immer wichtiger werdenden Krieg in urbanen Großräumen. Jene nach Eroberung zu sichern, kostet stets viele Truppen. Eine Aufgabe, die dann mobile Selbstschussanlagen mit autonomer Freund-Feinderkennung für die Bundeswehr übernehmen.
Das „leere Gefechtsfeld“
Die kostbare Kriegerware Mensch kommt nur noch zum Einsatz, wenn sich die Maschinen abgekämpft haben. So heißt es zum idealtypischen Einsatz von Panzergrenadieren: „Die bemannten Anteile des Zuges sollen erst dann zum Einsatz kommen, wenn es die Lage erfordert, beispielsweise wenn gegnerische elektronische Kampfführung den Einsatzwert der unbemannten Systeme stark verringert“. Das Schlachtfeld der Zukunft ist das „leere Gefechtsfeld“ – ein Großraum, der über Drohnen-Sensorik überblickt und mit indirektem Präzisionsfeuer beherrscht wird. Nicht mehr die Kampfeinheiten werden dort massiert, sondern nur noch deren Feuerkraft mittels digital vernetzter Operationsführung.
Um bei der rasanten technologischen Entwicklung der neuen Kriegsführung mitzuhalten, seien schnellere Beschaffungsprozesse von ein bis fünf Jahren essenziell, so die Heeres-Planer. Dafür bräuchte es längere Haushaltszyklen des Wehretats sowie ein agileres Rüstungsmanagement. Als Beispiel nennt die Analyse das Rapid Capabilities Office der US-Army. Jenes soll Innovationen erkennen und dann sofortige Beschaffung oder Prototypen-Entwicklung einleiten. Geht es nach den Verfassern des Thesenpapiers, soll jenes zum Ausgangspunkt für ein neues Operationskonzept des Heeres werden. Was umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Denn „Wie kämpfen Landstreitkräfte künftig?“ zeigt vor allem eines: Zwischen dem, was die Militärs für die Bundeswehr für notwendig erachten, und der Debatte dazu in Politik und Gesellschaft liegen Welten.
Nachtrag: Nachdem die Bundeswehr keine Einwände hat, hier nun das Thesenpapier in Gänze.
Gibt es eine Möglichkeit das Orginaldokument zu lesen? Danke
Bis jetzt hat das Heer die Analyse nicht öffentlich gemacht.
Interessante Thesen zum Gefecht der Zukunft, gibt es in diesem Papier auch einen Komplex der sich mit der Frage auseinandersetzt, ob und wie eine solche Aufrüstung einen Konfliktfall eher fördern wird?
Wenn weniger Menschenleben auf dem Spiel stehen, könnte man ja der Idee anhängen Probleme eher militärisch zu lösen.
Leider nein; darüber wird indem Konzeptpapier nicht reflektiert.