Aus Anlass der aktuellen „Wehrpflicht – Dienstpflichtdebatte“ in der Folge das Skript meines Beitrags zur NDR-Radiosendung „Streitkräfte & Strategien“ zum Sinn / Unsinn einer Dienstpflicht von Anfang 2016, leicht ergänzt und angepasst. Aufhänger war damals die Forderung des Reservistenverbandes, ein Dienstpflichtjahr für junge Frauen und Männer einzuführen.
Gefordert wurde eine allgemeine Dienstpflicht in der Bundesrepublik immer mal wieder. Zu Beginn der 1950er Jahre galt sie einigen als Mittel, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Anfang der 70er erörterten Militärplaner eine Dienstpflicht. Es gab die Befürchtung, angesichts der steigenden Zahl der Kriegsdienstverweigerer könnte die Bundeswehr Rekrutierungsprobleme bekommen. Letztmals gefordert wurde sie 2010 von Unionspolitikern als Ersatz für die Wehrpflicht, deren Aussetzung unmittelbar bevorstand. Die allgemeine Dienstpflicht hat ihre Anhänger vor allem in der Union. Einer ihrer dortigen Anhänger ist Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung, aber auch der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hatte sie als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen gefordert. Gehör aber fanden diese Stimmen nicht.
Dienstpflicht als „Kit“ für die Gesellschaft
Nun hat der Reservistenverband einen neuen Anlauf unternommen. Auf seiner Bundesdelegiertenversammlung Ende 2015 beschloss der Verband mit Mehrheit, sich für ein Dienstpflichtjahr einzusetzen. Die Begründung: Dadurch könne das Zusammenwachsen und das gesellschaftliche Miteinander gefördert werden. Der Präsident des Reservistenverbandes, der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (Ergänzung: Ein halbes Jahr später trat Kiesewetter als Verbandspräsident zurück): „Die junge Generation ist ja weitaus heterogener als in der Vergangenheit. Ein Großteil hat einen Migrationshintergrund. Manche sind im Ehrenamt engagiert. Aber in Baden-Württemberg sind es gerade mal 40 Prozent in der Bevölkerung. Aber das Land ist Spitzenreiter in der Bundesrepublik. Aber irgendwo brauchen wir einen Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.“
Reserveübungen als Pflichtdienst – von Unternehmen kaum noch abzulehnen
Ein Pflichtdienst wäre danach auch ein Beitrag zur Integration und würde zudem den Gemeinsinn fördern. Reservisten-Präsident Kiesewetter hat aber auch die Interessen seines Verbandes im Blick: „Ein Staat, der seine äußere Sicherheit auf Freiwilligkeit organisiert, abgesehen von den Berufs- und Zeitsoldaten, auf Dauer kann das prekär werden. Beispiel: Reservisten müssen von ihren Firmen nicht mehr freigestellt werden für Reserve-Dienstleistungen.“ Reservisten für Übungen abzustellen, ist bei Unternehmen verständlicherweise unbeliebt. Hätten Reserveübungen den Status eines Pflichtdienstes, wäre eine Ablehnung kaum noch möglich, was für den Reservistenverband eine massive Erleichterung wäre. Auch das ist offenbar ein Motiv für die Initiative des Verbandes.
Riesige Bürokratie zur Organisation der Dienstpflicht
Doch von den anderen gesellschaftlichen Gruppen bekommt der Verband der Reservisten keine Rückendeckung. Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht wird abgelehnt oder aber skeptisch gesehen. So ist die Caritas grundsätzlich gegen Zwangsdienste. Michael Bergmann, Fachreferent für Freiwilligendienste bei der Caritas, sieht zudem ein großes Organisationsproblem bei einer allgemeinen Dienstpflicht: „Wer soll das denn bewerkstelligen? Wir nehmen mal die Alterskohorte derjenigen, die im Laufe eines Jahres 18 werden. Da sind wir immer noch in der Größenordnung von 650.000. Das heißt, das wäre ein Riesenapparat, der hier aufgebaut und finanziert werden müsste.“
Um die jungen Frauen und Männer zu erfassen und zu verteilen, wäre der Aufbau einer speziellen Bürokratie von Nöten, ähnlich der Kreiswehrersatzämter zu Wehrpflichtzeiten – sicher eine Milliardeninvestition. Die Caritas verweist aber auch auf rechtliche Bestimmungen, die eine Einführung einer Dienstpflicht schwierig machen würden.Bergmann: „Es gibt erhebliche rechtliche Hürden für die Einführung einer Dienstpflicht, sowohl national wie auch durch die europäische Rechtsprechung beziehungsweise Rechtsnormen.“ Diese Hürden sind in erster Linie Artikel 12 des Grundgesetzes und die Europäische Menschenrechtskonvention – beide richten sich gegen staatlich verordnete Zwangsarbeit. Dass eine allgemeine Dienstpflicht einen zu massiven Eingriff in die Rechte der Bürger darstellt, ist praktisch bei allen Parteien in Deutschlands Konsens.
Freiwilligkeit kommt besser an
Ablehnung erfährt die Dienstpflicht daher auch beim Deutschen Roten Kreuz. Vizepräsidentin Donata von Schenck sieht zudem überhaupt keinen Grund, bei den sozialen Diensten eine Dienstpflicht einzuführen, da das Konzept Freiwilligkeit, gerade bei jungen Menschen, bestens funktioniere. Als Beispiel nennt sie das Freiwillige Soziale Jahr: „Ich denke, wir haben durch die Entwicklung des Freiwilligen Sozialen Jahres in Deutschland, auch beim DRK, eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Auf jeden Platz, auf jeden FSJ-Platz beim DRK kommen zwei Bewerbungen.“ Auch den demografischen Wandel sieht von Schenck nicht als Grund, junge Deutsche für Sozialdienste zu verpflichten. Schenk: „Wenn wir jetzt den Blick auf den demografischen Wandel werfen, dann würde ich sagen, die Berufe in der Pflege müssen aufgewertet werden. Wir müssen Anreize schaffen. Da müssen wir anfangen und nicht junge Menschen verpflichten, da zu arbeiten.“
Ähnlich wie das Deutsche Rote Kreuz hat auch das Technische Hilfswerk gegenwärtig keinen Mangel an Freiwilligen. Trotzdem lässt man eine gewisse Sympathie für eine Dienstpflicht durchblicken. Katrin Klueber, beim THW Leiterin der Stabsstelle des Beauftragten für das Ehrenamt: „Der positive Aspekt einer Dienstpflicht ist die Verbindlichkeit. Es kann ja nicht sein, dass bei diesen Strukturen auch die Freiwilligen Feuerwehren und die Hilfsorganisationen immer ein bisschen davon abhängig sind, ob beispielsweise der Arbeitsmarkt viel Zeit für ehrenamtliches Engagement zulässt oder nicht.“ Eine handfeste Unterstützung für die Dienstpflicht ist das aber nicht. Bei der Personalgewinnung setzen das THW und die Wohlfahrtsverbände seit dem Ende des Wehr-und Zivildienstes verstärkt auf Werbekampagnen. Und mit den Ergebnissen ist man bisher zufrieden.
Der Reservistenverband steht also mit seiner Dienstpflichtforderung ziemlich allein auf weiter Flur. Und offenbar ist selbst der Präsident des Verbandes nicht von dem Vorstoß überzeugt. Überraschenderweise macht Roderich Kiesewetter im Gespräch mit NDR-Info deutlich, dass ihm persönlich ein Freiwilligendienst sinnvoller erscheine als ein Pflichtdienst. Zudem soll eine Studie prüfen, ob die Verbandsposition zugunsten einer Dienstpflicht rechtlich überhaupt haltbar und konzeptionell sinnvoll ist. Kiesewetter: „Aus meiner Sicht, das ist aber meine persönliche Auffassung, ist es sinnvoller auf Freiwilligkeit zu bauen. Ich nehme auch an, dass die Studie, die wir in Auftrag geben, auch diese Aspekte – in einer Ehrenamtsgesellschaft auf Freiwilligkeit zu bauen – hervorheben wird.“ Wenn der Präsident nicht von einer Dienstpflicht überzeugt ist, wie kam es dann aber überhaupt zu dem Beschluss des Reservistenverbandes, sich dafür einzusetzen? Und was soll das Manöver mit der Studie?
Als CDU-Bundestagsabgeordneter hat Kiesewetter ein eigenes Konzept namens „Freiwilliger Gesellschaftsdienst“ entwickelt. Ziel ist die Ausweitung des Bundesfreiwilligendienstes. Es sollen zusätzliche Stellen geschaffen werden. In der CDU ist das mittlerweile Parteilinie. Kiesewetters Konzept ist auf dem jüngsten Parteitag in Karlsruhe beschlossen worden. Im Reservistenverband wird allerdings mehrheitlich ein anderer Kurs verfolgt – ein Kurs, der vom Präsidenten offenbar gegen die eigene Überzeugung mitgetragen wird. Denn der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Reservisten hatte sich für einen Pflichtdienst stark gemacht und auf der Delegiertenversammlung konnte er dafür eine Mehrheit gewinnen. Kiesewetter setzte im Gegenzug die besagte Prüfstudie durch. Eine merkwürdige Situation: Der Verband beschließt, sich für die Dienstpflicht einzusetzen und lässt diese Position sogleich auf Umsetzbarkeit prüfen – auf Betreiben des eigenen Präsidenten, der offenbar so hofft, seine Position, Freiwilligen-Dienste zu unterstützen, doch noch als Verbandslinie durchzusetzen (Ergänzung: Mehr zum Dissens in diesem Beitrag auf pivotarea) . Denn in der Gesellschaft hat eine Dienstpflicht auf absehbare Zeit keine Chance auf Umsetzung. Möglicherweise wird daher auch der Reservistenverband seine Position revidieren. Spätestens nach Vorlage der angekündigten Studie (Ergänzung: Hake gerade nach, was aus dieser Studie wurde).
Ich versuche es nochmal:
GG §12 lässt ausdrücklich eine herkömmliche allgemeine, für alle gleiche öffentliche Dienstleistungspflicht zu. Wer nur das Verbot von Zwangsarbeit herausliest ist Rosinenpicker.
GG, Art 12 erlaubt ja nun ausdrücklich eine herkömmliche allgemeine, für alle gleiche öffentliche Dienstleistungspflicht.
Was diese für die Integration bringen könnte ist nicht offensichtlich, wenn doch viele Migranten über Jahre die Schule in Deutschland besucht haben und der Christ den Dienst in einer kirchlichen Einrichtung, der Moslem diese in einer muslimischen Einrichtung ableistet (s. Zivildienst).
Erstaunt hat mich die Äußerung Kiesewetters “ „Ein Staat, der seine äußere Sicherheit auf Freiwilligkeit organisiert, abgesehen von den Berufs- und Zeitsoldaten, auf Dauer kann das prekär werden.“ Die Innere Führung geht davon aus, dass der Staatsbürger (in Uniform) seine Gesellschaft freiwillig verteidigt, weil sie es wert ist. Besteht hier ein Defizit, muss man die Gesellschaft prüfen.
Imo eine gute Übersicht über die Probleme, aber auch die eventuellen Vorteile.